Da das Bundeslandwirtschaftsministerium drängende Probleme nicht mit Nachdruck anpackt, fühlen sich die Landwirte allein gelassen wie selten. Was ihnen fehlt, ist Planungssicherheit und ein verlässlicher Pfad für eine Landwirtschaft, die den Landwirt*innen ein Auskommen bietet, hochwertige Lebensmittel und Rohstoffe erzeugt und dabei Rücksicht nimmt auf Umwelt, Biodiversität und Tierwohl. Dabei muss der gesamte Agrar- und Ernährungssektor zukünftig stärker von seinem Beitrag zu einer gesunden und nachhaltigen Ernährung her gedacht werden. Wir brauchen ein festes Band zwischen Produzent*innen und Verbraucher*innen, das von gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist.
Planungssicherheit schaffen
Eine Landwirtschaftspolitik, die die Interessen der Landwirt*innen und gesellschaftliche Erwartungen an sie zusammenbringt, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie braucht Rahmenbedingungen, die über Legislaturperioden hinweg halten. Das Fördermodell der Agrarpolitik muss sich zukünftig an dem Prinzip „öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ ausrichten. Die SPD setzt sich für eine stärker regionalisierte Landwirtschaft ein. Es braucht zielgerichtete Ackerbau- und Grünlandstrategien sowie eine Gesamtkonzeption für den Sektor, die eine flächenangepasste Nutztierhaltung einbezieht. Das Ungleichgewicht zwischen Gebieten mit intensiver Tierhaltung und reinen Ackerbauregionen ist aufzulösen. Nur so lassen sich regionale Nährstoffkreisläufe schaffen. Wir fordern die Einführung eines verpflichtenden staatlichen Tierwohllabels mit nachvollziehbaren Regeln und eine angemessene Finanzierung des Umbaus der Nutztierhaltung.
Einkommen sichern – auch durch Umweltschutz
Die Pariser Klimaziele, der Green Deal sowie die Farm-to-Fork- und Biodiversitätsstrategie müssen dabei zwingend in der Agrarpolitik verankert werden. Die Landwirtschaft muss wie alle anderen Sektoren ihren Beitrag leisten, damit wir bis spätestens 2050 klimaneutral leben und wirtschaften können. Auch die weltweiten Auswirkungen unseres Agrarmodells müssen berücksichtigt werden. Keinesfalls darf es zu Fluchtursachen beitragen. Die hierfür notwendigen Veränderungen erfordern eine weitreichende Neuausrichtung der politischen Rahmenbedingungen, insbesondere der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) und ihrer nationalen Umsetzung. Leitlinie dafür ist, Landwirt*innen zielgerichtet darin zu unterstützen, die Belange von Klima-, Umwelt- und Naturschutz bei ihrer Arbeit wirksam zu berücksichtigen und den Betrieben damit zugleich neue Einkommensmöglichkeiten zu eröffnen.
Erstmals wird ein Teil der bisherigen pauschalen Flächenzahlungen für konkrete öffentliche Leistungen der Landwirt*innen verbindlich reserviert. Die S&D-Fraktion im Europäischen Parlament fordert mit guten Gründen, in einem ersten Schritt mindestens 30% der Direktzahlungsmittel für diese Öko-Regelungen (Eco Schemes) einzusetzen. Wir sehen es als besonders wichtig an, den Landwirt*innen für die Umsetzung einen praktikablen Werkzeugkoffer bereit zu stellen. Grundlage für die Honorierung sollte ein Punktesystem sein. Die zurzeit diskutierte Gemeinwohlprämie bietet dafür die richtigen Instrumente an. Ziel ist es, ab 2027 alle pauschalen Flächenzahlungen umzuwidmen. Maßnahmen in diesem Zusammenhang sind etwa die Reduktion von Nährstoffüberschüssen und Pflanzenschutzmitteleinsatz, vielfältige Fruchtfolgen, eine umwelt- und tiergerechte Grünlandnutzung sowie die Bereitstellung von Flächen mit besonderem Wert für die Artenvielfalt. Die Maßnahmen und Zahlungen sind regional und flächenspezifisch differenziert auszugestalten, eine mehrjährige Teilnahme ist höher zu honorieren. Daneben sind ein erheblicher Ausbau von regionalen Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen, von Investitionen für Klima- und Umweltschutz in der Landwirtschaft (etwa für den Moorschutz) sowie einer begleitenden qualifizierten Beratung notwendig. Zur Finanzierung dieser spezifischen Maßnahmen ist die Umschichtung in die 2. Säule essenziell. Allein um den Status quo zu halten, wären 10 Prozent der Direktzahlungen erforderlich; das wird jedoch nicht ausreichen, um die bestehenden Bedarfe zu decken. Wir setzen uns als ehrgeiziges Ziel, bis zum Jahr 2030 in Deutschland 30% der landwirtschaftlich genutzten Flächen nach den Vorgaben des ökologischen Landbaus zu bewirtschaften, um eine Harmonisierung mit den europäischen Zielen zu erreichen. Der ökologische Landbau deckt viele Belange, die an eine umwelt- und tiergerechte Landwirtschaft gestellt werden, vollumfänglich ab. Damit dieses Ziel erreichbar wird, brauchen wir eine starke Finanzierung aus der GAP und eine zusätzliche Unterstützung des ökologischen Landbaus aus Bundesmitteln.
Auch bei der Konditionalität, den Basis-Anforderungen an alle Empfänger*innen von flächenbezogenen Zahlungen, müssen die Mitgliedstaaten ambitionierte Festlegungen treffen. Sinnvoll ist hier einen Mindestanteil an tatsächlich nicht produktiven Flächen im Umfang von 5 % der Acker- und Dauerkulturfläche, um zusammen mit den Öko-Regelungen und Agrarumweltmaßnahmen einen Anteil von mindestens 10 % der landwirtschaftlichen Fläche für die Artenvielfalt zu erreichen. Das Erhaltungsgebot für Dauergrünland ist fortzusetzen.
Die Landwirtschaft der Zukunft muss sich neu orientieren. Die bisherige Agrarpolitik hatte den Grundsatz, dass dort wo viel wächst auch viel Geld hinkommt. Diese Politik muss aus sozialdemokratischer Sicht umgekehrt werden. Gunstregionen benötigen nicht die gleiche finanzielle Ausstattung wie Regionen, die weniger begünstigt oder gar benachteiligt sind. Die Förderung für ungünstige Agrarstandorte muss genau dort erhöht werden, wo das natürliche Ertragspotential am niedrigsten ist.
Damit der nationale Strategieplan zur GAP noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden kann, sollte die Bundeslandwirtschaftsministerin zeitnah eine ressortübergreifende Taskforce einsetzen. Mitglieder sollten sowohl Vertreter*innen der AMK und der UMK als auch des BMEL, des BMU und der Zukunftskommission Landwirtschaft sein. Nur auf Basis eines breiten gesellschaftlichen Konsenses gewinnen wir Planungssicherheit über Legislaturperioden hinweg für unsere Landwirt*innen.
Dem Markt klare Regeln setzen
Außerdem setzen wir uns für soziale Gerechtigkeit, gute Arbeitsbedingungen und gute Löhne für die Millionen Arbeitnehmer*innen in der Land- und Ernährungswirtschaft ein. Viele landwirtschaftliche Unternehmer*innen schaffen verantwortungsvolle Arbeitsplätze, für die schwarzen Schafe darf es keine GAP-Gelder geben.
Es kann nicht richtig sein, dass Lebensmittel immer billiger werden, während gleichzeitig die Landwirte auf der Straße stehen, weil sie von ihrem Einkommen nicht mehr leben können. Rund drei Viertel des Verkaufspreises landen heute in den Taschen der Zwischenstufen. Die großen Player der Schlachtindustrie, Molkereien und im Einzelhandel sind Gewinner des kranken Systems. Wenn Politik hier nicht eingreift, wird den Landwirt*innen nicht geholfen werden und Milliarden Subventionen weiter an falscher Stelle versickern. Den unsäglichen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie haben wir 2020 mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz einen Riegel vorgeschoben. Weitere Schritte auf diesem Weg müssen folgen. Unfaire Handelspraktiken, bei denen Konzerne des Lebensmittelhandels und der Industrie ihre Machtmacht nutzen, um Erzeugern schlechte Vertragsbedingungen und Niedrigstpreise unterhalb der Produktionskosten aufzudrücken, wollen wir mit einem Gesetz zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich unterbinden.
Digitalisierung transparent und fair vorantreiben
Die Digitalisierung ist für uns die Zukunftsfrage der nächsten Jahrzehnte für attraktive ländliche Regionen. Sie bietet gerade abseits der urbanen Zentren völlig neue Chancen in einer sich verändernden Arbeits- und Lebenswelt. Dabei geht es nicht nur um den weiteren Breitbandausbau. Es braucht gezielte Maßnahmen zur Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie für ländliche Gebiete, eine Ansiedlungsoffensive für Co-Working- und Co-Living-Spaces, die Unterstützung Digitaler Dörfer sowie intelligente Lösungen für Gesundheitsvorsorge, Energieversorgung und E-Mobilität. Wir fordern eine Intensivierung und Strukturierung der Digitalisierung in der Landwirtschaft. Die von uns initiierte staatliche Agrar-Masterplattform wird als Datendrehscheibe der modernen Landwirtschaft fungieren und ist ein zentraler Baustein, um sicherzustellen, dass die Datenhoheit bei den Landwirt*innen bleibt und nicht von global agierenden Unternehmen übernommen wird.
Ländliche Räume attraktiv gestalten
Ländliche Räume erfüllen wichtige soziale ökonomische, ökologische und kulturelle Funktionen. Sie sind Orte bürgerschaftlichen Engagements, wirtschaftlicher Kreativität, einem starken Vereinsleben und regionaler Identität. Wir wollen die Heimat von fast 60 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland attraktiv, lebenswert und modern gestalten.
Mit der nationalen Umsetzung der GAP und der Politik für die ländlichen Räume haben wir nicht nur die Chance, das dringend notwendige ökologische Wachstum voran zu bringen, sondern ebenso wesentliche Beiträge für die Lebensqualität der Menschen, die Daseinsvorsorge, für Bildung und attraktives Wohnen auf dem Lande zu ermöglichen. Ziel bleibt die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilregionen Deutschlands. Bei der Neuverteilung der ELER-Mittel muss es deshalb nach objektiver regionaler Bedürftigkeit und nicht nach Himmelsrichtungen gehen. Zur Kofinanzierung der ELER-Maßnahmen und auch in Bezug auf die Entwicklung des ländlichen Raums halten wir es für absolut notwendig, zu einer Flexibilisierung bei der GAK zu kommen und das Prinzip der Jährlichkeit endlich zu verlassen. Eine angemessene Finanzierung der ländlichen Entwicklung – gerade nach Corona – soll weiterhin überall möglich sein. Die Möglichkeit der Förderung von Unternehmensentwicklungen, besonders Startups und Kleinstunternehmen außerhalb der Landwirtschaft und die Unterstützung von ländlichen Siedlungsstrukturen müssen deutlicher als bisher in den Fokus genommen werden.
Wir Sozialdemokrat*innen unterstreichen, dass es bei den ländlichen Gebieten letztlich um die Menschen, ihr soziales Umfeld und ihre Lebensumwelt geht. Durch eine aktive Bewirtschaftung mit deutlich besseren Umweltwirkungen, durch größere regionale Gestaltungsmöglichkeiten und durch politikfeldübergreifendes Arbeiten in Bund und Ländern wollen wir die ländlichen Gebiete zu Orten machen, wo Menschen gerne leben, arbeiteen, etwas produzieren, ihre Freizeit gerne verbringen und eine Familie gründen.
Agrar- und Ernährungsforschung ausbauen
Wir brauchen eine interdisziplinäre Agrar- und Ernährungsforschung, die notwendige Veränderungen begleitet und neue Impulse gibt. Wir stehen für eine Grundlagenforschung in staatlicher Hand. Wir wollen den Austausch zwischen Forschungseinrichtungen, landwirtschaftlichen Betrieben und der Ernährungsbranche sowie die Wissenschaftskommunikation in die Gesellschaft zielgerichtet ausbauen. Auch die berufliche Qualifikation in der Land- und Ernährungswirtschaft muss sich den verändernden Bedingungen anpassen.
Agrarhandel gerecht gestalten
Menschenrechte achten und Umweltzerstörung verhindern – diesen Grundsätzen sollen sich deutsche Unternehmen künftig auch im Ausland nicht mehr entziehen können. Aus diesem Grund fordern wir ein starkes und verbindliches Lieferkettengesetz und die Beachtung von hohen Standards für Klimaschutz, Artenvielfalt und Tierwohl in internationalen Handelsverträgen.
Dr. Matthias Miersch, MdB, Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion
Rainer Spiering, MdB, Agrarpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion
Carsten Träger, MdB, Umweltpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion
Dr. Till Backhaus, Minister für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Mecklenburg-Vorpommern
Reinhold Jost, Minister für Umwelt und Verbraucherschutz des Saarlandes
Olaf Lies, Niedersächsischer Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz
Maria Noichl, MdEP, Mitglied im Ausschuss für Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung
Detaillierte Angaben zu den Zielen und Wegen der Agrarpolitik der SPD finden Sie im aktuellen Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion, dem vertiefende Fraktionspapiere zu einzelnen Themen beigefügt sind sowie im Konzept des Bundesumweltministeriums zur Agrarreform.
AMK – Agrarministerkonferenz
BMEL – Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
BMU – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit
ELER – Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes
GAK – Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“
SPD – Sozialdemokratische Partei Deutschlands
UMK – Umweltministerkonferenz